Reinickendorf

Reinickendorf, ein Bezirk im Norden Berlins, erstreckt sich vom Landkreis Barnim bis zu den Ufern der Panke. Ursprünglich aus verschiedenen Landgemeinden entstanden, trat Reinickendorf als Namensgeber im Vergleich zu den Gemeinden in Pankow erst ein Jahrhundert später in Erscheinung. Trotz seiner zentralen Lage liegt das ehemalige Angerdorf heute abseits der großen Verkehrsadern Berlins und wirkt fast wie ein verschlafenes Dorf im Dornröschenschlaf, als Zeichen einer lang andauernden Distanz zur Metropole Berlin.

Veränderung der Infrastruktur

Die Berlin-Reinickendorfer Landstraße, die einst eine wichtige Verkehrsverbindung darstellte, änderte ihren Verlauf signifikant, als sie die Grenze zwischen dem Vorwerksland und der Bauernfeldmark überschritt. Anstatt sich dem Dorfkern zuzuwenden, zog die Straße südlich am Dorf vorbei, lediglich ein Feldweg bot eine direkte Verbindung. Ein solches Muster der Straßenführung findet man in Berlin nur noch in den Angerdörfern Weißensee und Friedrichsfelde. Im Gegensatz zu anderen ehemaligen Angerdörfern, die heute oftmals den Mittelpunkt eines Stadtteils bilden, stößt man auf den Ortskern von Reinickendorf eher zufällig oder wenn man gezielt aus der „Weißen Stadt“ kommt.

Historischer Hintergrund

Reinickendorf wurde erstmals im Mai 1345 als „Renekendorp“ urkundlich erwähnt. Zu dieser Zeit befand sich die Mark Brandenburg im Krieg unter der Herrschaft von Markgraf Ludwig dem Älteren, einem Sohn des Kaisers Ludwig von Bayern. In den Konflikt waren auch König Johann von Böhmen und dessen Sohn Karl, der spätere Kaiser Karl IV., involviert. Karl beabsichtigte, Berlin militärisch zu attackieren, doch die Truppen des Markgrafen, angeführt von Gebhard von Alvensleben und Hempe von Knesebeck, stellten sich ihm von Spandau über Renekendorp und Französisch Buchholz bis nach Strausberg entgegen. Die Konfrontation blieb jedoch aus, da Karls Streitkräfte der Macht des Markgrafen nicht gewachsen waren. Nachdem sich die unmittelbare Bedrohung gelegt hatte, zogen die Truppen aus Renekendorp ab, und es blieb eine historische Aufzeichnung der Kosten, in der das Dorf „Renekendorp“ Erwähnung fand.

Gründung und Namensherkunft

Die genaue Entstehungszeit von Renekendorp lässt sich heute nicht mehr feststellen, aber es wird angenommen, dass seine Ursprünge wie die der benachbarten Pankower Landgemeinden im 13. Jahrhundert liegen. Renekendorp lag an der Alten Heerstraße, die von Berlin über Bötzow (heute Oranienburg) nach Mecklenburg führte. Eine andere Überlieferung besagt, dass ein Anführer namens „Reinhard“, der junge Bauernsöhne aus Niedersachsen anführte, sich am Barnim niederließ und das Dorf zu seinen Ehren „Reinhards Dorf“ (plattdeutsch Renekendorp) nannte. Obwohl es keine direkte Verbindung zum Reineke Fuchs gibt, abgesehen von der Namensähnlichkeit, ist der Fuchs ein heimisches Tier in Reinickendorf und ziert auch das Wappen des Ortes.

Die Besiedlung der Renekendorper Landgemeinden

Die Besiedlung der ländlichen Gebiete rund um Renekendorp, das heutige Reinickendorf, geht vermutlich auf die strategische Initiative der Festung in Spandau zurück. Eine wichtige Verbindungsroute in dieser Region war die alte Heerstraße, die nach Bernau führte. Locatoren, spezielle Beauftragte zur Anwerbung und Ansiedlung von Siedlern, spielten eine entscheidende Rolle im Besiedlungsprozess. Sie wiesen den Neuankömmlingen Land zu, auf dem diese ein neues Dorf gründen konnten. Als Mittler zwischen den Siedlern und den Rittern, den Landbesitzern, sorgten die Locatoren für die Organisation und Entwicklung der Dorfgemeinschaften.

Die Dorfstruktur und das Leben in Renekendorp

Die neuen Siedler waren für die Rodung des Landes verantwortlich, um es anschließend in Gewanne, also landwirtschaftliche Nutzflächen, aufzuteilen. Diese Flächen wurden dann für Ackerbau und Viehzucht genutzt. Naturressourcen wie Wälder, Wasserläufe und nicht kultivierbare Flächen waren Gemeingut (Allmende) und standen allen Dorfbewohnern zur Verfügung.

Im Zentrum des Dorfes, das als Angerdorf angelegt war und dessen Höfe sich in einer rechtwinkligen und gleichmäßigen Anordnung gegenüberstanden, fanden sich wichtige Einrichtungen für das Gemeinwesen. Eine Kapelle wurde errichtet und ein Dorfteich angelegt, um den sozialen und spirituellen Bedürfnissen der Gemeinschaft zu dienen. Der Blockgraben, der vom Renekendorpschen See abfloss, trennte das Dorf von den angrenzenden Feldern und konnte über eine Brücke am Dorfeingang überquert werden.

Die soziale Struktur des Dorfes spiegelte sich auch in der Verteilung der Gebäude wider: Kossätenhöfe nahe dem Eingang, gefolgt von Bauerngehöften, dem Lehnschulzen- und Pfarrhof sowie dem Rittergut in der Mitte des Dorfes. Am Dorfausgang lagen weitere Bauerngehöfte und Kossätenhäuser. Die Kirche, der Kirchhof und die Küsterei, die später zur Schule wurde, sowie das Schulzengericht und der zentrale Anger mit zwei Dorfteichen bildeten das Herz des Dorfes.

Die Kossätenhöfe waren größer als die Bauernhöfe, da die Kossäten weniger Ackerland besaßen und einen größeren Teil ihres Hofes für den Ackerbau nutzten. Zisterziensermönche aus dem Kloster Lehnin unterstützten die Siedler in Reinickendorf mit ihrem Wissen im Ackerbau und in der Viehzucht, was zum Erfolg der landwirtschaftlichen Bestrebungen beitrug.

Renekendorp und das Landbuch Kaiser Karls IV.

Trotz der blühenden Gemeinschaft fand Renekendorp keine Erwähnung im Landbuch Kaiser Karls IV. aus dem Jahr 1375. Zu dieser Zeit gehörte das Dorf bereits zu Berlin, doch wie genau es in den Besitz der Stadt kam, ist nicht überliefert. Die Erstellung des Landbuchs war ein bedeutendes Ereignis, da Landreiter im Auftrag des Markgrafen von Dorf zu Dorf ritten, die Eigentümer befragten und Informationen sammelten, die zur Besteuerung durch den Markgrafen genutzt wurden. Kaiser Karl IV., der ursprünglich im Jahr 1345 militärische Ansprüche auf die Mark Brandenburg erhoben hatte, erwarb sie schließlich 1373 für drei Millionen Goldgulden von den Wittelsbachern. Im Zuge dessen entsandte er seine Landreiter, um ein Verzeichnis über Besitzverhältnisse und Einkünfte anzulegen, das als Grundlage für die Verwaltung und Besteuerung seiner neuen Territorien dienen sollte.

Die Gründung von Nyenhof und Renekendorp

Am 22. September 1348 ereignete sich ein bedeutsamer Akt in der Geschichte der Region, der in Dokumenten festgehalten wurde: Markgraf Waldemar, auch bekannt als der Falsche, überschrieb den Nyenhof, ein damals existierendes Rittergut, den Bürgern von Berlin. Die Bedingung hierfür war, dass die Bürger das Gut von den damaligen Besitzern erwerben. Der genaue Ablauf dieses Erwerbs bleibt jedoch im Dunkeln, da das Berliner Stadtbuch keine weiteren Details dazu liefert.

Im Jahr 1390 wurde schließlich der Verkauf des Gutes, lokalisiert nahe dem Renekendorper See (heute Schäfersee), im Berliner Stadtbuch vermerkt. Ein Bürgermeister namens Tile Brügge soll in diesem Kontext sein Lehnschulzenamt gegen ein Lehen in Renekendorp eingetauscht haben. Über die Zeit verschmolzen Nyenhofe und das Dorf Renekendorp zu einer Einheit, auch wenn dieser Prozess nicht dokumentiert wurde und somit heute nicht mehr nachvollziehbar ist.

Bedeutende Ereignisse und die Entwicklung des Rittergutes

Die Siedlung Nyenhof wurde später noch zweimal in den historischen Aufzeichnungen erwähnt. Einmal im Zusammenhang mit einem Bauernknecht, der wegen Pferdediebstahls hingerichtet wurde, und ein anderes Mal bezüglich eines Schäfers, der den Wald des Markgrafen und der Stadt Berlin (Jungfernheide/Berliner Stadtheide) in Brand setzte und dafür am 30. April 1407 enthauptet wurde.

Im Jahr 1574 wurde das Vorwerksland von Renekendorp als Nigenhagensches Feld bezeichnet. Die Lage von Nyenhof war strategisch günstig, da es an der Kreuzung wichtiger Verbindungswege zwischen Berlin-Oranienburg und Spandau-Freienwalde lag. Es bleibt unklar, ob Nyenhof den Ursprung des heutigen Stadtteils Reinickendorf darstellt, aber die Legende vom versunkenen Dorf, dessen Überreste auf dem Grund des Schäfersees liegen sollen, hält sich hartnäckig.

Renekendorp in den Aufzeichnungen des Berliner Stadtbuchs

Gegen Ende des 14. Jahrhunderts verzeichnete das Berliner Stadtbuch das Dorf Renekendorp als Besitz der Stadt Berlin. Die Aufzeichnungen geben Aufschluss über die Struktur des Dorfes: 40 Hufen Land, von denen 10 frei waren. Der Schulze besaß sechs Hufen und der Pfarrer vier. Die verbleibenden 30 Hufen wurden von Bauern bewirtschaftet, die Pacht in Form von Roggen und Zinsen in Geld entrichteten. Auch die Kossäten, kleine Landbesitzer, leisteten ihren Beitrag in Form von Naturalien und Geld.

Der Dorfkrug, eine wichtige Einrichtung an der Heerstraße, lieferte jährlich zwei Pfund Pfeffer als Abgabe. Obwohl die umliegende Landschaft für die Dorfbewohner wenig ertragreich war, spielte die Landwirtschaft eine zentrale Rolle im Leben von Renekendorp.

Umzug des Rittergutshofs und landwirtschaftliche Veränderungen

Der ursprüngliche Standort des Rittergutshofs am Reinickendorfer See (Schäfersee) wurde aufgegeben, und die Anlage zog an den Dorfanger von Renekendorp. Dort übernahm der Gutshof die landwirtschaftliche Bewirtschaftung, was zu einer Neustrukturierung der örtlichen Agrarlandschaft führte.

Vom Dorf Renekendorp zur Unterstellung unter die Prostei Bernau (1459-1491)

Renekendorp, das spätere Reinickendorf, erlebte in seiner Frühzeit eine eher unspektakuläre Entwicklung. Im Jahr 1459 wurde das Dorf der Prostei Bernau zugeordnet, was vermutlich die kirchliche Verwaltung und die seelsorgerische Betreuung betraf. Ein markantes Ereignis in dieser Zeit ist die Erneuerung der Dorfkapelle, deren Glocke im Zuge eines Umbaus mit der Jahreszahl „1491“ versehen wurde. Die einst aus Fachwerk errichtete Kirche wurde in dieser Zeit zu einem Feldsteinbau umgestaltet.

Erste schriftliche Erwähnung eines Dorfbewohners und Veränderungen durch die Reformation (1541)

Ein wichtiger Einschnitt in der Geschichte Renekendorps war die Kirchenreformation im 16. Jahrhundert. Im Zuge der Visitationen, also kirchlicher Inspektionen, wurde 1541 die Kirche und Küsterei von Renekendorp überprüft. Dieses Ereignis ist im Visitationsprotokoll festgehalten und gibt uns erstmals den Namen eines Dorfbewohners, Hans Thom, preis.

Neuordnung der Besitzverhältnisse und Verwaltung durch Berlin (1543-1581)

Die politische Landschaft änderte sich, als Renekendorp im Jahr 1543, nach einem gescheiterten Versuch der Vereinigung mit Cölln, vollständig unter die Verwaltung des Rates von Berlin gestellt wurde. Diese Umstrukturierung hatte zur Folge, dass fortan nur noch eine Instanz über das Schicksal des Dorfes entschied. Die Stadt Berlin übernahm die Bewirtschaftung des Ritterguts Renekendorp direkt. Ein städtischer Heidereiter überwachte das Rittergut, während ein Meier den Wirtschaftshof leitete. Die Betreuung der Herden oblag den eingesetzten Hirten und Schäfern. Erstmalig wurde 1581 eine vollständige Liste der Bauern in Renekendorp dokumentiert, die elf Namen umfasste.

Finanznöte und wechselnde Besitzverhältnisse (1568-1632)

Berlin, oftmals von Finanzproblemen geplagt, sah sich wiederholt gezwungen, das Rittergut oder Teile davon zu verpfänden. Dies geschah auch im Jahr 1568 und führte zu einer doppelten Verpfändung. Zunächst an den Berliner Ratsherrn Tile und anschließend an die Gebrüder Fahrenholz. In der Folgezeit wechselte das Pfand mehrfach den Besitzer, unter anderem an den Magister Simon Mellemann im Jahr 1576 und an das Hospital von St. Georgen im Jahr 1584. Die häufigen Besitzerwechsel führten zu Unruhe und Unsicherheit in Renekendorp.

Renekendorp im Dreißigjährigen Krieg und Verkauf des Dorfes (1632)

Der Dreißigjährige Krieg hinterließ auch in Renekendorp tiefe Spuren. Das Dorf litt unter Plünderungen und wurde wirtschaftlich stark beeinträchtigt. Im Jahr 1632 sah sich die Stadt Berlin gezwungen, das Dorf an den Handelsherrn Peter Engel zu verkaufen, um ihre Schulden bei anderen Städten zu begleichen. Der Verkauf wurde so arrangiert, dass der Rat von Berlin durch die Transaktion von den Schulden befreit wurde, allerdings ohne einen direkten finanziellen Erlös.

Grenzstreitigkeiten und die Folgen (1632-18. Jahrhundert)

Nach dem Dreißigjährigen Krieg traten Grenzstreitigkeiten zwischen Renekendorp und dem benachbarten Wedding, welches ebenfalls zu Berlin gehörte, in den Vordergrund. Die unklaren Grenzverhältnisse führten zu langwierigen Auseinandersetzungen, insbesondere bezüglich der Weideflächen, die beide Dörfer gemeinsam nutzten. Der Grenzstreit intensivierte sich, als Berlin sich weigerte, dem Dorf Renekendorp das Land des ehemaligen Ritterguts „Nyenhofe“ zuzusprechen. Diese Problematik sollte Renekendorp noch bis ins 18. Jahrhundert beschäftigen.

Aufschwung und Rückschläge unter Peter Engel

Nachdem Peter Engel das Gut in Reinickendorf erworben hatte, setzte sich seine Familie engagiert für die Verbesserung des Anwesens ein. Die Bieselpfühle wurden in produktive Fischteiche verwandelt, was einen wirtschaftlichen Aufschwung für das Gut bedeutete. Doch nicht alles verlief glatt für den neuen Besitzer. So musste Peter Engel erleben, wie sein Gutshof einem Brand zum Opfer fiel. Nur die wichtigsten Gebäude konnten wiederhergestellt werden. Zudem setzten die Folgen des Dreißigjährigen Krieges dem Dorf schwer zu. Viele Bauern suchten in Berlin Schutz und ließen ihre Höfe verfallen. Die Felder wurden nur noch teilweise bewirtschaftet und die Pachtweiden an der Spree von durchziehenden Truppen zerstört. Trotz der Bemühungen konnte Peter Engel nur wenig Freude an seinem Besitz haben, da er bereits 1638 verstarb.

Das Engagement von Ursula Engel und die Dorfbewohner

Nach Peter Engels Tod setzte seine Witwe Ursula, die Tochter des reichen Berliner Kaufmanns Leonard Weiler, die Bemühungen um das Dorf fort. Sie stiftete der Dorfkirche ein Altartuch mit der Inschrift „Ursula Weilers ao 1644“. In dieser Zeit schien das Leben in Reinickendorf fast zum Erliegen gekommen zu sein. Die Hufenschoßregister verzeichneten in den Jahren 1642 bis 1648 keine Einnahmen. Erst später finden sich im Verzeichnis der Dorfbewohner wieder Namen wie der Kuhhirte Robes Döring, der Hirte Jochim Schmolmann, der Bauer Matthias Schröder und die Kossäten Martin Kerkow, Thomas Lienemann, Andreas Großkopf und Paul Mollenhauer.

Erbstreitigkeiten und Verkauf des Gutes

Nach dem Tod von Peter Engel nahm Johann Stellmacher, der Schwiegersohn und Kriegszahlmeister, das Gut für sich in Anspruch. Als jedoch Peters leiblicher Sohn Christian 1640 mündig wurde, beantragte er beim Kurfürsten Georg Wilhelm die Belehnung des Rittergutes für sich und seine Geschwister. Christian Engel, der inzwischen Rittmeister in den Kriegsdiensten war, kehrte später nach Reinickendorf zurück und hatte Schwierigkeiten wegen einer Grenzverletzung. Er geriet in finanzielle Nöte und verkaufte 1653 das Dorf Reinickendorf für 2000 Taler an den brandenburgischen Vizekanzler Andreas Kohl, behielt jedoch die Lehnsrechte. Die Bewertung des Gutes ergab einen Wert von 4.554 Talern und 4 Groschen. Die verbliebenen Einwohner wurden über den Eigentümerwechsel informiert und mussten sich dem neuen Besitzer verpflichten. Kein Erbe der Engel-Familie trat beim Eigentümerwechsel in Erscheinung.

Erbschaft und Streitigkeiten unter den Gutsbesitzern von Renekendorp

Nach dem Tod von Vizekanzler Kohl übernahm seine Tochter Anna Margarete das Rittergut Renekendorp. Sie trat als eine der markantesten Persönlichkeiten in die Geschichte des Ritterguts ein. Ihre Ehe mit dem Konsistorialpräsidenten Dr. Kemnitz brachte ihr zusätzliches Ansehen. Jedoch waren energisches und streitbares Auftreten ihre bestimmenden Merkmale, und mit ihrem Antritt begann eine Ära voller Streitfälle.

Grenzstreitigkeiten und Konflikte mit dem Lehnschulzen

Ein zentrales Thema war die undurchsichtige Grenzziehung, die von der Übereignung an Peter Engel herrührte. Dies führte zu einem langwierigen Prozess, der Kommissionen, Besichtigungen und Verhandlungen vor dem Kammergericht nach sich zog. Besonders angespannt war das Verhältnis zum Lehnschulzen, der wiederholt in Konflikt mit Anna Margarete geriet, da er angeblich ihre Grenzen überschritt. Sie ging so weit, seine Kühe zu pfänden und sie nach Wartenberg zu treiben, selbst als ein kurfürstlicher Befehl die Herausgabe forderte.

Verfall und Vernachlässigung des Dorfes

Währenddessen verfiel das Dorf Renekendorp zusehends. Im Gegensatz zu den benachbarten Landgemeinden, die dem Aufruf des Großen Kurfürsten zum Wiederaufbau nach dem Dreißigjährigen Krieg folgten, wurde Renekendorp vernachlässigt. Eine Bewertung im Jahr 1688 ergab, dass nur ein Bruchteil der Bauernhöfe und Kossätenhöfe bewirtschaftet wurde und die Felder nur teilweise bestellt waren.

Rechtsstreit um das Rückkaufsrecht Berlins

Im 18. Jahrhundert wollte Berlin von seinem Rückkaufsrecht Gebrauch machen, traf jedoch auf Widerstand von Hofrat Andreas Erasmus von Seidel, der das Gut durch Erbgang erworben hatte. Er versuchte, das Verfahren zu verzögern und bot sogar dem König das Gut zum Kauf an, um den Preis zu erhöhen. Nach seinem Tod im Jahr 1707 setzte seine Witwe Elisabeth Charlotte die Verhandlungen fort, die schwierige Erbschaftsfolge erschwerte jedoch eine Einigung.

Schwierigkeiten nach dem Rückerwerb durch Berlin

Als Berlin schließlich 1710 das Gut Renekendorp zurückkaufte, stand die Stadt vor den Konsequenzen der Misswirtschaft der vorherigen Besitzer. Die Bauern waren widerwillig, ihre Pflichten zu erfüllen und widersetzten sich der Autorität des Magistrats. Trotz einiger positiver Ansätze zur Verbesserung des Dorflebens wurde das Gut umgehend an den Kaufmann Johann Caspar Pollborn verpachtet. Dieser war bei den Dorfbewohnern unbeliebt und wurde sogar auf seinem Hof verprügelt, da er sich nicht um die Landwirtschaft kümmerte und lediglich an Profit interessiert war.

Egalisierung des Guts und Hufenverteilung

Im Jahr 1716 wurde das Gut in Reinickendorf, damals als Renekendorp bezeichnet, egalisiert, was bedeutete, dass eine gerechte Aufteilung der landwirtschaftlichen Flächen unter den Dorfbewohnern stattfand. Die Bauern erhielten jeweils drei Hufen Land, während die Kossäten, als kleinere Landbesitzer, je eine Hufe zugewiesen bekamen. Diese Umstrukturierung ermöglichte es, alle Landbesitzer gleichmäßig zu den Abgaben und Dienstleistungen heranzuziehen. Der Lehnschulze, ein Dorfoberhaupt mit besonderen Privilegien, verfügte über sechs Hufen, die örtliche Pfarrei über vier und das Rittergut behielt zehn Hufen für sich.

Doppelfunktion der Familie Lienemann

Ab demselben Jahr übernahmen der Lehnschulze Jürgen Lienemann und sein Sohn Martin Lienemann, die als Arrendatoren fungierten, in einer Doppelrolle die Führung des Guts. Sie traten sowohl als Schulze, also als Vorsteher des Dorfes, als auch als Gutspächter auf. Trotz ihres Einsatzes für die Rechte des Dorfes stießen sie bei der Bevölkerung und dem Magistrat auf Unzufriedenheit.

Grenzstreitigkeiten und Eskalation

Die Lienemanns waren in mehrere Grenzkonflikte verwickelt, insbesondere mit dem Pächter des Vorwerks im Wedding, einem gewissen Naucke. Der Streit entfachte sich um das Hüttungsrecht, also das Recht zur Waldweide, auf dem ehemaligen Neuenhagenschen Feld. Gutspächter Lienemann ließ das betreffende Flurstück roden, welches zuvor dem Vorwerk Wedding als Weidefläche diente. Dies führte zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Knechten beider Parteien, die am 8. November 1729 auf dem Feld in eine blutige Schlägerei mündeten.

Gerichtliche Entscheidung und Folgen für Reinickendorf

Das Kammergericht entschied den Streit letztlich zugunsten des Weddinger Vorwerks. Das Renekendorpsche Vorwerk durfte das umstrittene Land nicht bearbeiten oder besäen, selbst wenn die Furchen des ehemaligen Ackerlandes noch sichtbar waren. Das Verhältnis zwischen Berlin und Reinickendorf verschlechterte sich weiterhin, da die Bauern über hohe Abgaben und Arbeitsleistungen klagten. Obwohl ihnen in Jahren mit Missernten, wie bei einer Heuschreckenplage, Schafsterben oder einem Hagelschlag, die Pacht erlassen wurde, wuchs der Widerstand im Dorf.

Konflikt um Baupflichten und Verhaftung der Wortführer

Als 1738 für den Arrendator ein neuer Hofbau errichtet werden sollte, weigerten sich die Bauern, die notwendigen Baumaterialien anzufahren, und argumentierten, zu stark zu diesen Diensten herangezogen zu werden. Die Gerichtsschöppen Jacob Bruseberg, der Krüger, und Hans Jürgen Hausotter, ein Bauer, traten als Wortführer auf. Der Magistrat wies die Untertanen an, die zum Bau erforderlichen Fuhren unverzüglich zu leisten, doch die Dorfbewohner widersetzten sich weiterhin.

In einem ungewöhnlichen Zug wurde ein außerordentlicher Gerichtstag einberufen, bei dem Bürgermeister Leßmann und Kriegsrat Thielo ein menschenleeres Dorf vorfanden. Nachdem sich schließlich einige Dorfbewohner einstellten, wurden diese eindringlich ermahnt, ihre Baupflichten zu erfüllen. Bruseberg und Hausotter blieben jedoch bei ihrer ablehnenden Haltung, was zu ihrer Verhaftung und Überstellung nach Berlin führte.

Konflikt und Kompromiss im Dorf

Als der Magistrat die Nutzlosigkeit des Arrestes erkannte, setzte er drei Tage später eine Verhandlung an. Aus dem Ergebnis dieser Verhandlung ging hervor, dass die Bewohner letztendlich bereit waren, die geforderten Fuhrdienste zu erbringen. Als Gegenleistung sollten sie dabei von den Untertanen aus Lichtenberg Unterstützung erhalten. Dem Lehnschulzen Lienemann wurde auferlegt, auch seine Kossäten anteilig zu diesen Diensten zu verpflichten. Dieses Missverhältnis in den Pflichten und Rechten zog sich jedoch noch über ein halbes Jahrhundert hin.

Die Ära der Lienemanns und soziale Beruhigung

Während der Amtszeit der Familie Lienemann kam es auch zu positiven Entwicklungen. Jürgen Lienemann bereicherte die Renekendorpsche Kirche mit einer Kanzel, die zuvor in der Berliner Jerusalemer Kirche stand. 1740 gab Martin Lienemann die Pacht des Gutes auf, was zu einer deutlichen Stimmungsaufhellung im Ort führte. Seine Nachfolger Lüdersdorf, Kraatz, Springborn und Bergmann traten in eine Zeit ein, in der die Dauerfehde zwischen Magistrat und Dorfbewohnern zu enden schien. Die großen Auseinandersetzungen gehörten nun der Vergangenheit an.

Umweltschutz im 18. Jahrhundert: Die Rettung des Renekendorpschen Sees

Nach der Rückübereignung des Rittergutes an die Stadt Berlin wurden neue Maßnahmen eingeleitet, die den Renekendorpschen See, auch bekannt als Schäfersee, vor der Verlandung bewahrten. Nach dem Dreißigjährigen Krieg war der See zunehmend vernachlässigt worden, sodass er zu verwachsen drohte. Die von Berlin eingeleiteten Schritte verhinderten dies glücklicherweise. Die Bieselpfühle konnten jedoch trotz der Bemühungen nicht gerettet werden und verlandeten.

Grenzkonflikte und Landvermessung

Um bestehende Unklarheiten in den Grenzverhältnissen zu klären, beauftragte der Berliner Magistrat den Landvermesser Johann Christoffer Friemel mit der Neuaufnahme der Renekendorpschen Feldmark. Das Ergebnis war ein detailliertes Hof- und Ackerregister, das heute als wertvolles Dokument für die Geschichte Reinickendorfs gilt. Es zeigt das Gebiet in seinem mittelalterlichen Zustand und gilt als eine der ältesten Urkunden der Region. Trotz dieser Bemühungen hielten die Grenzstreitigkeiten mit dem angrenzenden Wedding an, besonders nachdem der König südlich des Sees einen Schießplatz für die Artillerie einrichtete. Die Arrendatoren beschwerten sich über die Einbußen ihres Landes und die Schäden durch die darüberfahrenden Geschütze. Dieser Streit zog sich bis ins 19. Jahrhundert, bis die Gemeinde schließlich auf ihre Hüttungsrechte verzichtete.

Die Beziehung zwischen dem Magistrat und den Bauern von Renekendorf

Die Beziehungen zwischen dem Magistrat als Gutsherrschaft und den bäuerlichen Untertanen in Renekendorf waren von anhaltenden Konflikten geprägt. Die Bauern litten unter großer Not, da sie ihre finanziellen Verpflichtungen oft nur durch Holzdiebstahl erfüllen konnten. Die Feldbestellung war durch den Mangel an Zugtieren und unzureichende Düngung beeinträchtigt. In einem Versuch, die Missstände zu beheben, griffen sowohl die Gemeinde als auch der Magistrat zeitnah zur Initiative.

Die Erbpacht als Lösung

Am 18. November 1789 erkannte der Magistrat an, dass die bisherige Verpachtung des Rittergutes des Magistrats die Bauernschaft ruiniert hatte. Die Gemeinde sah in der Übernahme des Vorwerks in Erbpacht ein letztes Rettungsmittel und schlug vor, das Land unter den 15 Bauern und Kossäten aufzuteilen. Der Magistrat stimmte zu und am 1. Juni 1790 genehmigte die Kriegs- und Domänenkammer die Verteilung des Vorwerksackers unter den Bauern, um deren Lebensbedingungen zu verbessern. Mehrfach mahnte die Kriegs- und Domänenkammer den Magistrat, den Interessen der Gemeinde und des Staates Vorrang vor den eigenen finanziellen Interessen zu geben. Schließlich wurde am 21. September 1797 der Erbpachtvertrag abgeschlossen und zu Beginn des 19. Jahrhunderts von der vorgesetzten Behörde bestätigt.

Neuordnung der landwirtschaftlichen Flächen

Die Felder wurden neu aufgeteilt und in Dalldorfer-, Schönhauser- und ehemaliges Vorwerksfeld benannt. Die Bewohner blieben gleichberechtigt und setzten die Bewirtschaftung in der bisherigen Gemengelage fort. Einige Gebiete, wie die Schäferei und der Vorwerkshof, wurden aus der Erbpacht ausgeschlossen und verkauft, um das Untertanengebäude zu erhalten und Feldgräben zu instand zu setzen. Der Magistrat von Berlin erhielt aus der Erbpacht jährliche Zahlungen, die später noch anstiegen.

Veränderungen im 19. Jahrhundert

Mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts erfuhren das Dorf und seine Ackerfluren erhebliche Umstrukturierungen. Die gemeinschaftlichen Nutzflächen wurden 1834 aufgehoben und Wegeänderungen vorgenommen. Die Verbindung zum Schäfersee und zum Rosenthaler Tor wurde verbessert. 1853 wurden die letzten bäuerlichen Abhängigkeiten von Renekendorp beseitigt, als die Stadt Berlin stehenden Realabgaben aus dem Erbpachtvertrag von der Gemeinde abgelöst wurden. Damit endete eine jahrhundertelange Tradition und die direkte Beziehung zwischen Renekendorp und Berlin.

Beginn einer neuen Ära in Reinickendorf

In Reinickendorf, einem Vorort von Berlin, begann mit dem Ende der Abhängigkeit von den Gutsherren eine neue Zeitrechnung. Die Bauern und Kossäten konnten nun eigenständig wirtschaften und das Dorf entwickelte sich zu einem typischen Vorort mit Ausflugsmöglichkeiten, einschließlich Biergärten. Obwohl die direkte Abhängigkeit zum Magistrat nicht mehr bestand, war der Einfluss Berlins weiterhin spürbar.

Städtische Entwicklung und Veränderungen im 19. Jahrhundert

Der Pfarrer von 1842 berichtete von ersten städtischen Bewohnern, die sich in Reinickendorf niederließen. Trotz der neuen Freiheiten blieb die Anzahl der Gehöfte über hundert Jahre unverändert, allerdings wurden sie nicht mehr landwirtschaftlich genutzt, sondern dienten zunehmend als Spekulationsobjekte. Die Bauaktivitäten dehnten sich Richtung Berlin aus. Die ehemals landwirtschaftlich geprägte Gegend verwandelte sich in Parzellen für neue Bebauungen, Straßen und Plätze.

Der Wandel zum Amtsbezirk

Im Jahr 1872 durchlief Reinickendorf eine grundlegende Veränderung: Durch die Einführung der Kreisordnung wurde es zu einem eigenen Amtsbezirk. Adolf Kuhn, ein Bauerngutsbesitzer, wurde zum ersten ehrenamtlichen Amtsvorsteher gewählt. Die Gemeindeverwaltung professionalisierte sich, und das 1885 errichtete Rathaus im alten Ortskern wurde zum neuen Amtssitz. Es beherbergte auch das örtliche Gefängnis und bot Unterkunft für Bedürftige.

Reinickendorf und die Gründerzeit

Während die Gründerzeit in Berlin für einen Bauboom sorgte, war Reinickendorf zunächst weniger attraktiv für die Berliner, lag es doch zwischen den Arbeiterbezirken Wedding und Pankow. Doch auch hier entstanden neue Wohngebiete, die allerdings verstreut lagen und erst allmählich zusammengewachsen sind. Ein Beispiel dafür ist die Lettekolonie, in der nach englischem Vorbild Land- und Gesellschaftshäuser errichtet wurden.

Anbindung an das Verkehrsnetz

1877 wurde Reinickendorf an das Verkehrsnetz der Nordbahn angebunden, wodurch die Anbindung an Oranienburg und Hennigsdorf verbessert wurde. Der Bahnhof Schönholz, an der Grenze zu Pankow, und der Bahnhof Alt-Reinickendorf, am nordwestlichen Rand des Dorfangers, förderten die Erreichbarkeit und damit die Entwicklung Reinickendorfs.

Eingemeindung zu Berlin

Mit dem Tod des letzten ehrenamtlichen Amtsvorstehers im Jahr 1884 und der Ernennung von Friedrich Wilke zum ersten besoldeten Bürgermeister begann eine fast 40-jährige Ära, die mit der Eingemeindung Reinickendorfs in die Stadt Berlin im Jahr 1920 endete. Reinickendorf wurde zum 20. Großstadtbezirk von Groß-Berlin und verlor dadurch seine Selbstständigkeit, war aber nun in der Bezirksverwaltung vertreten.