Im frühen 18. Jahrhundert zeichnete sich das Gebiet um das Dorf, das später als Neu-Voigtland bekannt werden sollte, durch ausgedehnte Wälder aus, die bis an das Ufer der Spree reichten. Um das Jahr 1730 begann die Abholzung dieser Wälder, um Platz für Weideflächen zu schaffen. Diese Eingriffe in die Natur führten zu erheblichen Veränderungen in der Landschaft: Der Boden wurde abgetragen, und es entstanden kahle Sandflächen, die nur durch vereinzelte Sümpfe, Luche und Fenne unterbrochen wurden. Besonders das Kämmererheideland wurde gerodet, was zur Bildung einer ertragslosen Sandwüste führte, die sich für die Viehzucht als ungeeignet erwies. Das Holz wurde hauptsächlich für den Bau der Akzisemauer verwendet, die neu an der Linienstraße errichtet wurde, um als Zollgrenze zu dienen und die Flucht desertierter Soldaten zu verhindern.
Probleme durch Abholzung und städtische Maßnahmen
Die Abholzung verursachte nicht nur eine Zerstörung der natürlichen Umgebung, sondern auch praktische Probleme für die Stadt Berlin. Bei ungünstigen Windverhältnissen wurde der Sand in die Straßen Berlins geweht oder türmte sich vor der Akzisemauer am Spandauer Viertel auf. Dies führte dazu, dass Personen unbemerkt in die Stadt gelangen konnten, trotz der Zollgrenze. Um derartige Vorfälle zu verhindern, wurden strenge Wachanweisungen erlassen, die darauf abzielten, unerlaubte Passagen und die Flucht von Soldaten zu unterbinden.
Friderizianische Kolonisation und Entstehung von Neu-Voigtland
Am 30. Mai 1751 startete Friedrich II. aufgrund der Unfruchtbarkeit der nördlichen Ländereien die Friderizianische Kolonisation der Sandwüste vor den Toren Berlins. Das Gebiet, das später als Neu-Voigtland bekannt wurde, erstreckte sich jenseits der Akzisemauer und sollte Saisonarbeitern, die üblicherweise im Winter in ihre Heimat zurückkehrten, eine dauerhafte Niederlassung bieten. Friedrich II. stellte 9.000 Reichstaler zur Verfügung, um die Bebauung des Gebiets zu fördern, und ordnete die Ansiedlung von Handwerks- und Gärtnerfamilien an, um die Versorgung der Berliner Bevölkerung sicherzustellen.
Expansion und Besiedlung
Neu-Voigtland wurde in Richtung Rosenthaler und Oranienburger Tor sowie nordwärts in den Gebieten Wedding und Gesundbrunnen erweitert. Bis 1750 war die Besiedlung im Bereich des Weddings abgeschlossen, und bis zum Ende des 18. Jahrhunderts durften nur Kolonisten, keine Berliner, die Häuser in Neu-Voigtland erwerben. Weitere Kolonien entstanden nördlich der Akzisemauer, wie die „Kolonie hinter dem Gesundbrunnen“ und die „Kolonie am Wedding“, die von Siedlern aus Böhmen und dem Gastwirt Johann Friedrich Corsica gegründet wurden.
Kultureller und wirtschaftlicher Einfluss
Die Ansiedlung von Handwerkern und Gärtnern in Neu-Voigtland hatte einen bedeutenden Einfluss auf die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung der Region. Die Gärtnerhäuser entlang der Gartenstraße, die zwischen 1770 und 1772 errichtet wurden, beherbergten zehn Familien aus dem Schweizerischen Neuenburg, die zur landwirtschaftlichen Produktivität und Diversität Berlins beitrugen.
Beständigkeit und heutiges Erbe
Neu-Voigtland und die umliegenden Kolonien bilden heute einen wichtigen Teil der historischen Identität Berlins. Die Siedlungen zeugen von den Bemühungen Friedrichs II., die Bevölkerung in der Nähe der Stadt anzusiedeln und die landwirtschaftliche Produktion zu verbessern. Dieses kulturelle Erbe ist in der heutigen Struktur und im Charakter der betroffenen Stadtteile noch immer erkennbar.
Historischer Kontext von Neu-Voigtland
Neu-Voigtland war ursprünglich eine Ansiedlung vor den Toren Berlins, die sich im Laufe der Zeit zu einem Teil der Stadt entwickelte. Die Bebauung in Richtung Wedding begann um 1800, und es entstanden verschiedene Einrichtungen, darunter die erste allgemeine Schule in der Brunnenstraße 1.
Scharfrichterei und Hinrichtungen
Die Hinrichtungsstätte, die ursprünglich einen ungetrübten Blick auf das Schloss Monbijou ermöglichte, wurde in das Neu-Voigtländische Gebiet verlegt und fand ihren Platz auf dem heutigen Gartenplatz. Die letzte Hinrichtung wurde dort 1837 vollzogen. Besonders erwähnenswert ist die letzte öffentliche Verbrennung im Jahre 1813 von Johann Christian Peter Horst und seiner Geliebten Christiane Delitz, die wegen Brandstiftung verurteilt wurden.
Entwicklung der Infrastruktur und des sozialen Gefüges
Im Laufe der Zeit entwickelte sich Neu-Voigtland zu einer Armenkolonie, in die immer mehr bedürftige Menschen zogen. Der Bereich hatte einen schlechten Ruf, der durch verschiedene Faktoren wie die Verlegung von Galgenanlage und Hochgericht, das Invalidenhaus für Kriegsveteranen und ein anrüchiges Vergnügungsviertel geprägt wurde.
Kulturelle und soziale Einflüsse
Bettina von Arnim thematisierte in ihrem „Königsbuch“ die sozialen Missstände in Neu-Voigtland und trat für soziale Gerechtigkeit ein. Die Gegend wurde zu einem Sammelpunkt für Arme und Ausgestoßene, was zu einer sozialen Trennung in Berlin führte.
Polizeiliche Zustände und Bürgerengagement
Das 19. Polizeirevier in Neu-Voigtland war zu Beginn des 19. Jahrhunderts nur mit einem Commissarius besetzt, der mit den nächtlichen Vorkommnissen überfordert war. Dank der Hilfe von freiwilligen Bürgern aus der Gegend konnte die öffentliche Ordnung verbessert werden.
Umbenennungen und Eingemeindung
Auf Anregung des engagierten Polizeicommissarius und als Anerkennung für die Hilfe der Bürger wurden Straßen in Neu-Voigtland nach den freiwilligen Helfern benannt und die Gegend in „Rosenthaler Vorstadt“ und „Oranienburger Vorstadt“ umbenannt. Die Gartenstraße bildete die Trennlinie zwischen den beiden neuen Vorstädten. „Oranienburger Vorstadt“ wurde 1822 dem Weichbild Berlins zugeordnet und 1824 amtlich benannt, während „Rosenthaler Vorstadt“ 1830 eingemeindet wurde.
Städtebauliche Veränderungen
Der ehemalige Galgenplatz wurde zum Getreide- und Heumarkt und später von Gustav Meyer in einen Schmuckplatz umgewandelt. 1890 begann der Bau der größten katholischen Kirche Berlins, der St. Sebastian Kirche, die 1893 eingeweiht wurde.
Soziale Herausforderungen und Entwicklungen
Trotz der Umbenennungen und städtebaulichen Veränderungen blieben die sozialen Herausforderungen bestehen. Unmoral, Verbrechen und Prostitution waren in der Gegend weiterhin präsent, und das Viertel galt als zwielichtig. Die Ackerstraße, später auch scherzhaft „Ackeurstraße“ genannt, war ein besonderer Brennpunkt dieser Probleme.
Frühe Mietskasernen in der Rosenthaler Vorstadt
Im frühen 19. Jahrhundert setzte die Neubebauung der Rosenthaler Vorstadt ein, und an der nördlichen Ackerstraße entstanden die ersten Wohngebäude im spätklassizistischen Stil. Auf einem Gelände, das später Teil des Nordbahnhofs an der Gartenstraße werden sollte, wurden 1824 die ersten Mietskasernen Berlins errichtet. Diese „von Wülcknitzschen Familienhäuser“ gehen auf den Kammerherrn von Wülcknitz zurück, der von einem Gärtner namens Christian ein günstiges Stück Land in der Gartenstraße erwarb. Auf diesem Grundstück ließ von Wülcknitz fünf Mietskasernen bauen.
Die Bebauung war dicht und die Wohnverhältnisse waren äußerst beengt: In vielen kleinen Stuben lebte jeweils eine Familie, die den Raum zum Arbeiten, Schlafen und als Küche nutzte. Insgesamt waren in den vierhundert Stuben über zweitausend Menschen untergebracht, was bedeutete, dass bis zu sechs Personen sich eine Stube teilten. Die Zimmer waren von einem zentralen Gang zugänglich und wurden mittels kreuzweise gespannter Seile in vier Bereiche unterteilt, sodass jede Familie einen Abschnitt erhielt.
Die sanitären Einrichtungen waren rudimentär: Auf dem Hof gab es zwei Brunnen zur Wasserversorgung und ein offenes Abort, das Platz für fast fünfzig Personen bot. Selbst die Keller und Dachböden wurden ausgebaut und vermietet, um zusätzlichen Gewinn zu erzielen. Die Mieter mussten hart arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und hatten wenig übrig, nachdem sie die Miete bezahlt hatten. Kinder hatten kaum Platz zum Spielen, und Betteln wurde streng bestraft. Sozialpolitische Maßnahmen wie Armenfreischulen, Krankenbesuchsvereine und Betstunden entstanden in dieser Zeit, und es wurde die erste Berliner Suppenküche gegründet. Im Jahre 1881 wurden die Mietskasernen schließlich abgerissen, nachdem das Areal mehrere Eigentümerwechsel erlebt hatte.
Herausforderungen der Hausbesitzer an der „Neuen Ackerstraße“
Die Hausbesitzer an der „Neuen Ackerstraße“ standen im mittleren 19. Jahrhundert vor ganz anderen Problemen. Es gab lediglich sieben Häuser, die durch die Namen der Eigentümer identifiziert werden konnten. Die Hausbesitzer forderten eine Nummerierung ihrer Häuser, um sie leichter auffindbar zu machen, was von den zuständigen Polizeibehörden jedoch abgelehnt wurde. Auch der Wunsch nach einer eigenen Straßenbezeichnung wurde nicht erfüllt, da der Name des südlichen Bereichs auch für die nördliche Straßenerweiterung gelten sollte.
Die Hausbesitzer baten außerdem um eine Entwässerung und nächtliche Beleuchtung der Straße, um die Lebensqualität zu verbessern und die Vermietbarkeit der Wohnungen zu erhöhen, insbesondere da die Kellerwohnungen regelmäßig nach der Schneeschmelze überschwemmt wurden. Ihre Bemühungen wurden zunächst abgelehnt, da der Magistrat befürchtete, dass eine Zustimmung zu diesen Forderungen eine Welle ähnlicher Anträge anderer Hausbesitzer zur Folge hätte.
Ähnliche Situationen gab es am „Verlorenen Weg“ (heutige Schwedter Straße), wo die Mädchenherberge Marthas Hof lag. Auch die Beschwerden der St. Elisabethgemeinde über die schlechten Wege zwischen Kirche und Friedhof führten anfangs zu einer Ablehnung ihres Antrags auf Befestigung der Wege. Erst später, im Jahr 1850, wurde diesem stattgegeben. Sechs Jahre darauf erhielten auch die Besitzer der nördlichen Ackerstraße schließlich ihren gepflasterten Zugang.
Gründerzeitliche Entwicklung und Wandel der Ackerstraße
In der Gründerzeit erlebte Berlin ein rasantes Wachstum. Um dem Bevölkerungsdruck gerecht zu werden, wurden in der späteren Folgebebauung mehrere Parzellen zu größeren Einheiten zusammengefasst und großzügiger bebaut. Ein Beispiel hierfür ist die Ackerstraße, die sich südlich der Bernauer Straße erstreckt. Mit dem Abriss der alten Stadtbefestigungsanlagen im Jahr 1867 begann die Transformation der Ackerstraße, wobei die ältesten Gebäude aus dieser Zeit die Hausnummern 6/7 (Baujahr 1827/1843), 9 (1842) und 148 (1822) sind.
Die Ackerstraße entwickelte sich auch im Bildungsbereich weiter: Die „Kleinsche Schule“ in der Hausnummer 12 und die „Költzsche Schule“ (später Weidnersche Schule) in der Nummer 57 sind Beispiele für die Bildungseinrichtungen der Zeit. Darüber hinaus findet sich in der Hausnummer 94 das älteste zweistöckige Gebäude aus dem Jahr 1857 als einziges erhaltenes Bauwerk dieser Epoche.
Hobrechts Planung und die Entstehung neuer Stadtquartiere
Mitte des 19. Jahrhunderts entwarf Baurat James Hobrecht einen Bebauungsplan, der die Anbindung der Rosenthaler und Oranienburger Vorstadt an das alte Stadtgebiet von Berlin regelte. Sein Plan sah vor, nicht nur auf das historische Zentrum Berlins zu fokussieren, sondern vielmehr lebenswerte Stadtquartiere mit Wohnen, Arbeiten und Erholung zu schaffen. Kleine Plätze sollten als zentrale Punkte in den Kiezen dienen, und ein Volkspark war geplant, um mehrere Stadtplätze miteinander zu verbinden. In der Folge entstanden östlich der Rosenthaler Vorstadt neue Quartiere rund um den Arkonaplatz, Vinetaplatz und den Gartenplatz.
Die Schrippenkirche in Berlin
In der Ackerstraße 51 befand sich einst die berühmte Berliner Schrippenkirche. Constantin Liebich, ein Journalist und Schriftsteller, gründete 1882 den Verein „Dienst am Arbeitslosen“. Inspiriert von einem amerikanischen Evangelisten widmete sich Liebich der aktiven christlichen Liebestätigkeit und begann, für Obdachlose Morgenandachten mit Frühstück anzubieten. Diese Initiative, bei der jeder Teilnehmer eine Tasse Kaffee und zwei Schrippen erhielt, führte zum Namen „Schrippenkirche“. Das Konzept fand in der Stadt viele Nachahmer und unterstützte zahlreiche bedürftige Menschen.
Liebichs Engagement wurde belohnt, als ein finanzkräftiges Vereinsmitglied ihm das Haus in der Ackerstraße schenkte, welches zur neuen Heimat der Schrippenkirche wurde. Neben der kirchlichen Arbeit baute Liebich einen Selbsthilfeverein auf, der Arbeitsplätze schuf und den Armen ermöglichte, Produkte zu erschwinglichen Preisen zu erwerben und weiterzugeben.
Veränderungen durch Krieg und Politik
Mit der Machtübernahme der Nazis endete die Arbeit der Schrippenkirche in der Ackerstraße. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb von dem Gebäudekomplex nur der Seitenflügel übrig. Dieser diente zunächst den Amerikanern als Lebensmittelverteilungsstätte und später als Mädchenpensionat für Kriegswaisen. In den 1960er Jahren wurde das Gebäude als Altenheim genutzt, und nach dem Mauerbau 1961 bezog die Kirchengemeinde aus der Bernauer Straße die Räumlichkeiten. Eine vom Bezirksamt Wedding angeordnete Kahlschlagsanierung führte schließlich zum Abriss des historisch bedeutsamen Hauses.
Administrative Veränderungen und die Rosenthaler Vorstadt
Mit der Verwaltungsreform von 1920 wurden Teile der Rosenthaler Vorstadt neu zugeordnet: Der Bereich nördlich der Bernauer Straße kam zum Wedding, während der südliche Teil bis zum Verlorenen Weg (heute Schwedter Straße) dem Bezirk Mitte angegliedert wurde. Die Oranienburger Vorstadt verblieb im Stadtteil Mitte. Der Bereich von der Bernauer Straße bis zum Gesundbrunnen wird heutzutage als „Tiefer Wedding“ bezeichnet, mit der Brunnenstraße als zentralem Verkehrsknotenpunkt.