Alfred Baier und seine Familie im Widerstand gegen den Nationalsozialismus

Alfred Baier wurde am 1. März 1905 im polnischen Lodz geboren. Als Sohn eines Schmiedemeisters wuchs er in einer handwerklich geprägten Familie auf. 1916 siedelte die Familie nach Berlin um, wo sie sich im Prenzlauer Berg niederließ. Trotz des Verlustes ihres Vermögens durch Inflation mussten sie in Berlin von vorne beginnen. Alfred Baier ergriff den Beruf des Drehers und Gürtlers und absolvierte eine entsprechende Lehre.

Familiäres Umfeld und Umzug nach Blankenburg

Alfred Baier heiratete Margarete, mit der er zwei Kinder hatte. 1929 zog die Familie in den Ortsteil Blankenburg, wo sie auf dem Grundstück der Großeltern lebten. Die Baier-Familie betrieb eine kleine Landwirtschaft, um ihren Lebensunterhalt aufzubessern. Sie belieferten regelmäßig ehemalige Nachbarn im Prenzlauer Berg mit ihren Erzeugnissen.

Politische Aktivitäten und Verfolgung

Angesichts der wirtschaftlichen Schwierigkeiten und Arbeitslosigkeit während der Inflation und der zunehmenden politischen Instabilität entschied sich Alfred Baier, der KPD beizutreten. Er wurde aktiv im Widerstand gegen das NS-Regime und übernahm leitende Funktionen in der Partei. Trotz des Verbots der KPD nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten setzte er seine Arbeit im Untergrund fort, verteilte illegale Zeitungen und Flugblätter und stellte Propagandamaterial her.

Repressionen und Einschränkungen im Alltag

Die Familie Baier war aufgrund ihrer politischen Aktivitäten Ziel von Repressionen durch das NS-Regime. Sie erlitten Anfeindungen und Diskriminierungen in ihrem Umfeld und auch die Kinder wurden in der Schule drangsaliert. Häufige Hausdurchsuchungen und kurzzeitige Verhaftungen gehörten zum Alltag. Auch Alfred Baiers Vater wurde von den Nationalsozialisten gezwungen, seine Taubenzucht aufzugeben, da Brieftauben als potenzielle Spionagehilfsmittel galten.

Alfred Baier und seine Inhaftierung im „Karl-Ernst-Haus“

Die längste und qualvollste Inhaftierungsperiode, die Alfred Baier erdulden musste, währte über vier Tage. Während dieser Zeit befand er sich in den Fängen der SA, die das „Karl-Ernst-Haus“ in Pankow, eigentlich ein Amtsgerichtsgefängnis in der Borkumstraße, für ihre schrecklichen Zwecke missbrauchte. Unter der Schreckensherrschaft der SA, die nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten das Gebäude besetzte, wurde das Gefängnis zu einem Ort der Folter umfunktioniert.

Misshandlungen und Verhöre

In seinen Erinnerungen schildert Baier die unmenschlichen Bedingungen seiner Gefangenschaft: „Im Jahre 1933 wurde ich nach mehreren Haussuchungen und Verhaftungen und nach einem Verrat durch einen Georg Schureck von der SA abgeholt und in dem Pankower Karl-Ernst-Haus eingesperrt.“ Baier beschreibt weiter, dass er in einem stets dunklen, doppelt vergitterten Keller wiederholt verhört und brutal misshandelt wurde: „Nach viertägigen ununterbrochenen Prügeln mit allen nur erdenklichen Gegenständen, wie Stuhlbeine, Gummiknüppel, Hundelederpeitschen usw. wurde ich am fünften Tag durch Fürsprache eines Blankenburger Polizeibeamten entlassen.“

Die SA und ihre Methoden

Das „Karl-Ernst-Haus“ wurde nach Kurt Mende, einem SA-Führer und Mitglied der Standarte 12, benannt. Karl Ernst, ein anderer namensgebender SA-Führer, war bekannt für seine direkte Beteiligung an Misshandlungen und soll sogar in den Reichstagsbrand verwickelt gewesen sein. Kurt Mende und sein politischer Kommissar im Karl-Ernst-Haus, ein gewisser Parade(r)mann, waren berüchtigt für ihre Grausamkeit. Parade(r)manns Praxis, den Gefangenen vor den Verhören Rizinusöl zu verabreichen, damit sie sich während der Prügel demütigend einnässten, zeugt von der Perversion, die im Umgang mit politischen Gegnern an der Tagesordnung war.

Ungebrochener Widerstandswille

Trotz dieser Schreckensherrschaft und persönlichen Leidens ließ sich Alfred Baier nicht einschüchtern. Er entschied sich, seine politische Arbeit fortzusetzen. Aus einer Zusammenkunft mit Genossen der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) entstand die Idee, eine Münze mit einer antifaschistischen Botschaft zu prägen. Baier verpflichtete sich, einen Entwurf für diese Münze anzufertigen, deren Verkaufserlös den Familien inhaftierter Genossen zugutekommen sollte.

Herstellung der antifaschistischen Münzen

Für die Herstellung der Anti-Hitler-Medaillen beschaffte Alfred Baier Aluminiumblech und Stempelstahl für die Prägematrize. Der graveurmeister Heinricht Harwardt, ein Sympathisant der KPD, gravierte die Losungen in die Matrize. Baier gelang es auch, Georg Unfug, ein früheres KPD-Mitglied, davon zu überzeugen, ihm seine Werkstatt in einer Blankenburger Kleinproduktionsstätte für Vogelbauer nachts zur Verfügung zu stellen. Da Unfugs Sohn der SA beigetreten war, mussten alle Spuren der nächtlichen Arbeit sorgfältig beseitigt werden, um keine Verdachtsmomente aufkommen zu lassen.

Margarete Baiers Unterstützung und die Folgen der Verhaftung

Margarete Baier war eine treibende Kraft hinter den Aktivitäten ihres Mannes Alfred Baier und seiner politischen Widerstandsbewegung gegen das NS-Regime. Sie half nicht nur bei der nächtlichen Herstellung der Anti-Hitler-Münzen, sondern trug auch die Last der Folgen, die sich nach Alfreds Verhaftung ergaben.

Die Verhaftung und Verurteilung Alfred Baiers

Alfred Baier engagierte sich aktiv im Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime. Seine Frau Margarete und seine Eltern unterstützten ihn dabei tatkräftig. Die von ihnen hergestellten Anti-Hitler-Münzen wurden in Berlin und darüber hinaus verteilt, um ein Zeichen gegen die Herrschaft der Nazis zu setzen. Jedoch führte der Verrat durch einen Bekannten namens Liermann zur Verhaftung Alfreds und mehrerer seiner Genossen. Am 13. Februar 1936 wurde Alfred Baier in Untersuchungshaft genommen und nach monatelanger Einzelhaft und Folter zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Die Haft verbüßte er im Zuchthaus Brandenburg, das zu den ersten Konzentrationslagern der Nazis zählte. Nach seiner Haftzeit stand er zusätzlich drei Jahre unter Polizeiaufsicht und wurde mit einem lebenslangen Ehrverlust bestraft.

Margarete Baiers Kampf um das Überleben der Familie

Die Verurteilung Alfreds hatte gravierende Auswirkungen auf das Leben von Margarete Baier und ihren beiden Kindern. Im Ortsteil Blankenburg, wo jeder jeden kannte, wurden sie als die Familie eines Zuchthäuslers stigmatisiert. Mit nur 28 Jahren musste Margarete allein für ihre Kinder sorgen und erlebte Anfeindungen von Nachbarn und Diskriminierung ihrer Kinder in der Schule.

Ohne finanzielle Unterstützung, da die Arbeitslosenfürsorge mit der Inhaftierung Alfreds wegfiel, musste sie sich an das Amt wenden. Um die Arbeitslosenfürsorge zu erhalten, erledigte Margarete Gartenarbeit auf dem örtlichen Friedhof. Dank einer Bekannten fand sie später Arbeit in einer Nähstube, wo sie gerade genug verdiente, um ihre Familie zu ernähren.

Alfred Baiers Leben nach der Haft

Nach seiner Haftentlassung fand Alfred Baier eine Anstellung in der Lampenfabrik Brendel & Löbig. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde die Fabrik auf Rüstungsproduktion umgestellt und Alfred zur Musterung eingeladen. Aufgrund seiner politischen Vergangenheit und seiner Vorstrafen wurde er jedoch als „wehrunwürdig“ eingestuft und musste nicht am Volkssturm teilnehmen.

Einsatz von Zwangsarbeitern während des Krieges

Mit dem Ausbruch des Krieges sahen sich viele deutsche Betriebe und Fabriken mit einem gravierenden Arbeitskräftemangel konfrontiert. Infolgedessen wurden in den Betrieb, in dem Alfred Baier als Einrichter tätig war, Zwangsarbeiter aus Polen und Russland gebracht. Alfred Baier, der seine Wurzeln in Polen hatte, fiel die Kommunikation mit den Zwangsarbeitern aufgrund seiner Sprachkenntnisse nicht schwer. Er nutzte seine Fähigkeiten, um als Bindeglied zwischen der deutschen Betriebsleitung und den ausländischen Arbeitern zu fungieren.

Alfred Baiers unerwarteter Wehrdienst

Trotz einer offiziellen Bescheinigung seiner Wehrunwürdigkeit wurde Alfred Baier im letzten Kriegsjahr 1945 wider Erwarten doch noch zum Wehrdienst herangezogen. Er sollte dem Bataillon 999 im bayrischen Holberg zugeteilt werden, von dem bekannt war, dass es extrem hohe Verluste zu beklagen hatte. Glücklicherweise griff sein Arbeitgeber ein und betonte die Wichtigkeit Baiers als erfahrenen Einrichter und Dolmetscher für die Rüstungsindustrie. Dies rettete ihn davor, zu den vielen zu gehören, die aus dem Krieg nicht zurückkehrten.

Kriegsende und neue Verantwortung

Die Befreiung Berlins

Am 21. April 1945, als die Kriegshandlungen und der SA-Terror in Berlin einem Ende zugingen, wagte Alfred Baier zusammen mit einem engen Freund einen mutigen Schritt: Sie gingen mit einer weißen Fahne bewaffnet den Soldaten der Roten Armee entgegen. Erneut erwiesen sich Baiers Sprachkenntnisse als äußerst wertvoll, als ein Kommandant ihn zu seiner durch Bomben zerstörten Laube begleitete, wo seine Frau und Tochter ausharrten. Trotz der Freude über das Kriegsende kam es in den Feldern zwischen Blankenburg, Heinersdorf und Buchholz noch zu vereinzelten Gefechten.

Alfred Baier wird Bürgermeister von Blankenburg

Am Tag nach der Befreiung Berlins durch die Rote Armee wurde Alfred Baier von zwei russischen Soldaten abgeholt, was bei seiner Familie große Sorgen und Ängste auslöste. Niemand konnte sich vorstellen, was die Soldaten von ihm wollten. Es stellte sich heraus, dass er vom russischen Kommandanten als Bürgermeister von Blankenburg eingesetzt wurde, eine Rolle, die er unverzüglich annahm. Als Bürgermeister war er nun für die Belange aller Einwohner von Blankenburg verantwortlich, einschließlich jener, die ihn und seine Familie während der Nazizeit angefeindet hatten. Viele ehemalige Gegner flohen in den Westen, während die verbliebene Bevölkerung allmählich ihre Angst überwand und sich der Beseitigung der Kriegsschäden widmete.

Die Gründung der Amtsstelle und die Kartenstelle

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs schloss sich Alfred Baier, ein ehemaliger Antifaschist, mit Gleichgesinnten zusammen, um die Amtsstelle in Blankenburg zu bilden. Diese Amtsstelle war in verschiedene Bereiche gegliedert, um den Aufbau und die Versorgung in der Nachkriegszeit zu organisieren.

Lebensmittelversorgung durch die Kartenstelle

Der erste Bereich war die Kartenstelle, deren Aufgabe es war, die Versorgung der Bevölkerung in Blankenburg mit Lebensmitteln sicherzustellen. Angesichts geschlossener oder leerer Geschäfte litt die Bevölkerung unter Hunger. Die Rote Armee übernahm zunächst die Lebensmittelversorgung durch die Ausgabe von Lebensmittelkarten. Agnes Heyen, die im Widerstand aktiv gewesen war, leitete anfangs die Kartenstelle. Später mussten die notwendigen Lebensmittelkarten aus dem Rathaus Pankow beschafft werden. In einer Anekdote wird von einer Episode berichtet, bei der Alfred Baier gemeinsam mit Willi Eberling mit Fahrrädern und Rucksäcken aufbrach, um neue Lebensmittelkarten zu holen. Aufgrund fehlender Verkehrsmittel kehrten sie zu Fuß und schwer beladen zurück, da ihre Fahrräder nach dem Verlassen des Rathauses gestohlen worden waren.

Das Wohnungsamt und die Wohnungsnot

Wiederaufbau und Wohnraumverteilung

Die zweite wichtige Abteilung war das Wohnungsamt. Seine erste Aufgabe bestand in der Bestandsaufnahme der Wohnungen und Häuser, die von geflüchteten Bewohnern zurückgelassen worden waren. Zusätzlich wurden Personen erfasst, die infolge der Kriegszerstörungen obdachlos geworden waren. Ihnen wurden neue Unterkünfte zugewiesen, bis ihre alten Wohnungen wieder aufgebaut waren. Die Aktivitäten des Amtes wurden streng von der russischen Kommandantur überwacht.

Medizinische Versorgung in Blankenburg

Dr. Emilie Kirch – Eine Ärztin für Blankenburg

Kurz nach Kriegsende trat Frau Dr. Emilie Kirch an Alfred Baier heran, da sie auf der Suche nach einem neuen Zuhause für sich und ihre zwei kleinen Kinder war. Sie erhielt ein leerstehendes Haus in Alt-Blankenburg, in dem sie eine Arztpraxis einrichtete und im Obergeschoss mit ihrer Familie lebte. Ihre Anwesenheit als Gemeindeärztin in Blankenburg war eine bedeutende Verbesserung für die lokale medizinische Versorgung. Dr. Kirch war bekannt dafür, sich auch nachts für ihre Patienten einzusetzen. Nach einigen Jahren baute sie auf einem erworbenen Grundstück eine neue Praxis und Wohnräume auf. Ihre Tochter Wladow folgte in ihre Fußstapfen und studierte Medizin, um später die Praxis ihrer Mutter zu übernehmen.

Alfred Baier nach der Amtszeit

Vom Bürgermeister zum Schlossermeister

Alfred Baier übte das Amt des Bürgermeisters für fünfzehn Monate aus, bevor die Ämter und Kommandanturen in Pankow zusammengelegt wurden. Danach entschied er sich gegen eine weitere Tätigkeit im Verwaltungsapparat und erfüllte sich seinen Lebenstraum, indem er eine eigene Reparaturwerkstatt gründete. Er erhielt zunächst eine vorläufige Genehmigung zur Selbständigkeit von der Industrie- und Handelskammer Berlin und musste innerhalb von zwei Jahren seine Gesellen- und Meisterprüfung als Schlosser ablegen, was er erfolgreich bewältigte. Seine Werkstatt gedieh und bot Reparaturen für eine Vielzahl von Gegenständen an. Alfred Baier wurde als anerkanntes Opfer des Faschismus bis zu seinem Tod im Jahr 1982 im Ortsteil Blankenburg geschätzt. Seine Frau Margarete arbeitete nach Auflösung der Ortsamtsstelle als Referentin im Auslandsarchiv beim Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienst (ADN).

Tragische Erinnerungen an den Krieg

Bombenexplosion in Blankenburg

Im Jahr 1947 wurde Blankenburg durch eine tragische Erinnerung an den Krieg heimgesucht, als die Explosion einer Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg zwei Menschen das Leben kostete.

Diese Abschnitte bieten einen detaillierten Einblick in die Herausforderungen und Triumphe der Nachkriegszeit in Blankenburg, verdeutlichen die Bedeutung von Alfred Baier und anderen engagierten Bürgern für den Wiederaufbau und das Gemeinwohl sowie die kontinuierlichen Bemühungen, ein Leben nach den Zerstörungen des Krieges wieder aufzubauen.